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Jetpack Bellerive

Bestiarium_Plakat

BESTIARIUM Fortune Square TrioTrip SinfAct von Aleksander Gabryś
für Violine, Horn, Kontrabass und grosses Orchester

Mit Noëlle-Anne Darbellay, Samuel Stoll, Aleksander Gabryś und dem Sinfonieorchester TriRhenum Basel unter der Leitung von Julian Gibbons.
Das Werk wurde am 1. November 2013 in der Kirche St.Nikolaus Reinach (BL) uraufgeführt und am 3. November 2013 in der Martinskirche Basel gespielt.

Film: Fragmente aus BESTIARIUM Fortune Square TrioTrip SinfAct
Kamera: David Röthlisberger und Carlos Isabel | Ton und Schnitt: Jan Buchholz

Text von Aleksander Gabryś

Musik ist immer eine Art von Theater für mich.

Alles was wir als «Musik» beschreiben würden – ist, verbleibt und spielt durch Bewegung immer eine gewisse Art von Theater für unsere Solisten und Musiker des «Bestiariums»: «Fortune Square» des «Zoos» wird hier von Menschen durch Menschen für Menschen bespielt.

Alles was wir als «Menschen» beschreiben würden – ist und spielt auch immer eine spezielle und besondere Rolle im Verständnis was Theater ist, wer ein Mensch ist und wo die sogenannte Seele liegt? Provozieren wir einmal die Elemente schlicht hier und jetzt, wie der ungläubige Thomas: In Spiralen der Bänder von Filmschleifen in einem Kreis gedacht: langsamer aber schneller gleichzeitig! Dieser Stimmungszustand lässt uns in die Vergangenheit und/oder in die Zukunft bewegen. Gleichzeitig.. . . .            .            .

Mit rohen Orchester-Klangmitteln, die im rein funktionellen Gebrauch «lachenmannisch» eingesetzt werden, zielen wir auf die grundsätzlichen, archetypischen Probleme, die durch Pression auf die Musikgeräte entstehen und durch das Solisten-Orchester in metaphorischen Umwandlungen von massenhaften Assoziations-Prozessen immer und wieder hereingewickelt werden könnten: als Menschen-Künstler und Bühnen-Halb-Co-Autoren sind wir de facto in der Lage, dieses Blut der archetypischen Problematik in Zukunft wieder in die Kreisläufe der Gemeinschaften, Gesellschaften, Nationen und Planeten «rein-zu-im-puls-ieren».

Während der analogen, elektronischen und akustischen Assoziationsketten, im Laufe der mit Texten, Graphiken, Noten und live-elektronik-Programmen beschriebenen «comprovisatorischen Kadenzen» – durch die gruppen-prozesshafte ‹ZusammenEntwicKLÄuNG›, von zahlreichen Reflexionen ,gespiegelt‘ – führt der «Individuationsprozess», das «Bohren» im «Selbst» und das «Aushöhlen» vom «Sich-Dich-Mich-Uns» zu einem musikalischen «Alpen-Pass-Pfad»: man folgt einer Schneise in Richtung von Synästhesie, wo die Übertragung von Gestus und Geist der Hoffnung, Freude, Höhe, Freimütigkeit, Breite, Aufrichtigkeit, Schritt und Blick in die Zukunft – alles – sofort in das andere umgewandelt werden darf.

Hier liegt die Hoffnung von meinem «Bestiarium», das auf der einen Seite die bisherigen ,Bestiarien‘ lediglich nur als Vorführungen von realen oder auch nicht-existierenden Bestien entblössen könnte, auf der anderen Seite – uns allen: und Orchester und Publikum und Sponsoren und Ausführer – vor die grundsätzlichen Fragen stellt: was täuschen wir vor als Menschen und wo liegen unsere Grenzen?

In Richtung von diesen asymptotischen Grenzwall-Motiven ermutige ich Musiker des «Bestiariums Fortune Square»: zum Ziel! Musikalisch NEU zu benen- nen! Avanti, Amici! – im Geist (Ghos’T’ones) der ,re-Konquista‘, im Spiegel von moderner Kultur (und Pseudokultur) stehend, stellen wir die Frage: was/ wo ist die Bestie in uns/mir/Dir? Und: ist das Phänomen wirklich bloss die ein- geborene Schatten-Zone von unseren Persönlichkeiten oder erleben wir es be- wusst, gezielt, ausgedrückt oder doch noch als «unterbewusste», «untergefühlte», unausgedrückte Art vom «ego»? Die Orchester-Pulsierungen, verstanden nach C.G. Jung als «abaissement du niveau mental schaffen musikalische Umgebungen für «konzentrierte» Co-Impro-Visio-Taten von einzelnen Personen (jeder «Mittäter»-Musiker darf hier ab und zu ein Solist, «im Gespräch» sein). Mit ganzem Körper, Wissen, Stimme und Mimik – erlauben sich die Musiker auch improvisatorisch musikalische «Selbstkritiken», «Diskussionen», «Streite» und «Verhandlungen» miteinander.

Der Dirigent – «Bestien-Erwecker» – leitet den Orchester-Organismus zuerst mit «demiurgischer» Freude; wie er immer weiter ,in den Wald geht‘, verliert er aber die Kontrolle über den Golem-Leviatan; vom Herr der Bestie muss er zur Partnerschaft übergehen, dann versucht er noch durch «Drohen» seine Macht und Autorität wieder zu gewinnen, am Ende aber dirigiert er in Generalpausen allein gegen das eigene Orchester, klanglich ausgestattet mit, elektroakustischen «Geis- tern»‘. Orchester-Leviathan und Elektro-Dirigent nehmen diskrepante Wege, es erscheinen dabei neue Mitspieler: die Balance zwischen Ausführer, Solisten, Publikum wird immer wieder neu verschoben! Klang-Politik: offene Zellen und Seelen – das Zentrum der ersten «Kreuzung»: jeder Fakt besitzt vier Enden als ein Gegenteil der Gegenteil-Paarung und auf solchen Mustern sind auch die Atome des «bestiarium fortune square TrioTrip SinfAct» gedacht, konstruiert, komponiert und selbstgespiegelt. Der Impuls hat viele offene Ecken und – als «open form» – lassen sich immer neue Mitspieler «zur Tat» einladen.

Artikel von Florian Hauser in der Musikzeitschrift Dissonance, Nr. 125, März 2014

Unter Druck

Uraufführung von Aleksander Gabryś’ Bestiarium Fortune Square mit dem Sinfonieorchester TriRhenum Basel (Martinskirche Basel, 3. November 2013)

Soll man Neue Musik den professionellen Ensembles überlassen? Nein. Denn man verlöre etwas. Amateurensembles können der Aufführung Neuer Musik eine Frische geben, die nicht zu unterschätzen ist. Das zeigt das Beispiel des Basler Amateurorchesters TriRhenum (Leitung: Julian Gibbons), das weitgehend den Konzertgewohnheiten folgt und vor allem das klassisch-romantische Repertoire pflegt; es lässt es sich dennoch nicht nehmen, für seine Programme auch Auftragskompositionen zu vergeben. Vergangenen Herbst war das Bestiarium Fortune Square des polnischen Komponisten Aleksander Gabryś. Ein Stück, das den Bedürfnissen eines Amateurorchesters entgegenkommt. Seine Ziele hat Gabryś deutlich formuliert: «Mit rohen Orchester-Klangmitteln, die im rein funktionalen Gebrauch ≤lachenmannisch≥ eingesetzt werden, zielen wir auf die grundsätzlichen, archetypischen Probleme, die durch Pression auf die Musikgeräte entstehen.» Die Musiker werden zu Mitkomponisten: «Jeder Mittäter-Musiker darf hier ab und zu ein Solist sein. Mit ganzem Körper, Wissen, Stimme und Mimik erlauben sich die Musiker auch improvisatorisch musi- kalische Selbstkritik, Diskussionen, Streite und Verhandlungen miteinander.»

Dies – das Konzert des aussergewöhnlich routinierten Sinfonieorchesters TriRhenum hat es eindrucksvoll belegt – scheint ein wesentlicher Punkt in der Arbeit mit Amateuren zu sein: Perfor- mance-Einlagen tragen dazu bei, die Orchestermusiker aus der Reserve zu locken und ihre im positiven Sinne kindliche Seite zu zeigen. Profiorchester bieten im schlimmsten Fall gelangweilte Routine, Amateurorchester zeigen im schlimmsten Fall bemühtes Unvermögen – im besten Fall aber ein bedingungsloses «Sich- ausliefern». Hier aber wurde ein Stück gefunden, das für das Orchester Identifikationsmöglichkeiten bietet, Humor zulässt und auch die subversive Seite nicht ausser Acht lässt, wenn die Musiker immer wieder improvisatorisch aufeinander reagieren können und zum Teil den Dirigenten als gemeinsamen «Feind» entdecken. Wenn zudem professionelle Solisten – neben Samuel Stoll (Horn) und Noëlle–Anne Darbellay (Violine) auch der Komponist am Kontrabass – beteiligt sind, die das Orchester mitziehen können, ist das nicht zu unterschätzen: Man will es schliesslich auch für den Komponisten gut machen, der mit einem arbeitet.

Warum Neue Musik nicht nur den Profiorchestern überlassen? Gerade für Amateure kann Neue Musik spannend sein, denn die Tonsprache eines jeden einzelnen Stücks ist ein Abenteuer, das es jeweils neu zu bestehen gilt. Da bei Uraufführungen keine Einspielungen existieren, lässt sich auch nichts einfach nur «nachmachen», sondern alles muss in intensiven Probenphasen erarbeitet werden; in Klängen zu schwelgen, die man schon im Ohr hat, ist ausgeschlossen. Zudem: Welches professionelle Orchester kann es sich leisten, ein Stück über Wochen und Monate einzustudieren? Durch die Gemeinschaft entsteht ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und das Erfolgserlebnis, ohne Modellanleitung ein Ergebnis zu erzielen, rechtfertigt auch anfängliche Ressentiments und Überforderungen.

In der Aufführung spielen daher auch verwackelte Bläsereinsätze keine Rolle – das gemeinsame Erleben ist wichtiger als das Ergebnis. So kann mit Bedacht ausgewählte Neue Musik auch und gerade einem Amateurorchester eine verschüttet geglaubte Lebendigkeit und Unmittelbarkeit zurückgeben – was sich sogar im Verhalten des Publikums spiegelt, das sich kaum scheut, ungefilterte Reaktionen zwischen Erschütterung und Amüsement zu zeigen.

Florian Hauser